Wir sind tatsächlich gespannt darauf, denn auf Schildern wird dort vor Keas gewarnt, großen, grünen Bergpapageien, die scheinbar den Campingplatz heimsuchen. Was der Ranger dann über “the Kea situation” berichtet, sprengt unsere Vorstellung. Er erzählt, dass in den bewaldeten Berghängen rund um Hütte und Zeltplatz eine Gruppe Keas lebt, die mit der Zeit gelernt habe, dass die Zelte ein spannendes Ziel für kleine Überfälle sind, vor allem, weil sich darin manchmal Müsliriegel oder Nüsse finden lassen. Dabei schrecken die Papageien vor wenig zurück. Sie können Reißverschlüsse öffnen, zerschneiden Zelte mit ihren Schnäbeln, kommen in der Dunkelheit der Nacht und lassen sich von den Menschen in und um die Zelte ziemlich wenig beeindrucken. Das alles zeigt beeindruckend die Intelligenz und Lernfähigkeit der Keas, die sogar soweit geht, dass sie, obwohl eigentlich tagaktiv, ihre Aktivitäten rund um den Zeltplatz erst im Dunkeln starten.
Wir – und unser Zelt – haben den Umständen entsprechend ganz gute Karten, die Nacht unbeschadet zu überstehen, da die Keas zwar immer noch jede Nacht kommen, aber in den letzten Wochen etwas weniger Schaden angerichtet haben; davor konnte man damit rechnen, dass die Hälfte aller Zelte morgens Löcher hatte! Laut dem Ranger kam es außerdem im Sommer zu mehreren Fällen, in denen Keas nachts in Zelte gehüpft kamen und dort ein riesengroßes Chaos angerichtet (und die darin Schlafenden vermutlich zu Tode erschrocken) haben. Später auf unserer Tour treffen wir auch noch eine Französin, die von befreundeten Wanderern erzählt, deren Zelt vor ein paar Monaten in einer Sommernacht einmal der Länge nach aufgeschlitzt wurde. Wir hoffen also, dass die Keas nicht ausgerechnet heute ihre etwas sanftere Phase beenden und bringen alles an Gepäck, was wir nicht unbedingt im Zelt brauchen, in einen Kea-sicheren Holzverschlag (der aber leider nicht mäusesicher ist, was zumindest zwei Löcher in Annikas Rucksack am nächsten Morgen vermuten lassen).
Der Ranger bereitet uns aber nicht nur auf die Keas vor, sondern gibt den Zeltenden noch den Tipp, unter der Wurzel eines umgefallenen Baums nach Glowworms zu schauen und auf dem Weg dorthin nach Kiwis Ausschau zu halten und zu horchen, er imitiert überraschend gut die verschiedenen Rufe männlicher und weiblicher Vögel. Die Aussicht auf Glowworms und noch dazu die eventuelle Chance, Kiwis zu sehen, durchkreuzt unser Vorhaben, müde und erledigt wie wir sind, schnell in die Schlafsäcke zu schlüpfen. Wir machen uns also mit rot leuchtender Stirnlampe (um keine Kiwis zu blenden) auf den Weg und tatsächlich sind wir gar nicht lange gelaufen, als Annika vor uns ganz deutlich einen Kiwi um einen Baum huschen sieht. Wir bleiben wie versteinert stehen und können ihn etwas weiter entfernt vor uns auf dem Waldweg picken sehen. Ihn? Tatsächlich stellt sich der Kiwi als Kiwiweibchen heraus, denn es streckt den Schnabel in die Höhe und ruft den unverkennbaren Schrei weiblicher Kiwis in den Wald hinein. Wir können die Begegnung kaum glauben, nachdem der Vogel vom Weg ins Dickicht verschwunden ist, aber lange haben wir gar nicht Zeit, da huscht vermutlich der gleiche Kiwi noch einmal über den Weg. Dieses Mal verschwindet er sofort zwischen Büschen, bleibt dort aber in Blickweite, sodass wir mehrere Minuten beobachten können, wie er mit seinem langen Schnabel im Boden herumpickt. Besser kann man einen Kiwi in der Wildnis kaum sehen, was ein Glück!
Die Glowworms, eigentliches Ziel unseres nächtlichen Ausflugs sind dann auch faszinierend. Im Dunkeln der Baumwurzeln hängen um die hundert bläulich glühende Punkte, Larven einer Mücke, die in Te Reo Māori titiwai heißt. Die 3 – 5 mm großen Larven spinnen ein Netz aus mit klebrigen Tropfen gespickten Seidenfäden, in denen sich ihre vom Leuchten angelockte Beute verfängt.
Beschwingt von unserem nächtlichen Ausflug kehren wir zum Zelt zurück, fallen dort aber todmüde in unsere Schlafsäcke und schlafen wie Steine.