#08 Inselwechsel

#08 Inselwechsel

Wir beginnen diesen Beitrag und unseren nächsten Tag mit einer Busfahrt, dieses Mal geht es nach Wellington, neuseeländische Hauptstadt und zur Abwechslung mal Stadt statt Wildnis. Und, eine angenehme Abwechslung für uns, Zimmer statt Zelt, Bett statt Lumas und Decke statt Schlafsack. Doch bevor wir Wellington erreichen, haben wir erst einmal eine längere Mittagspause in Palmerston North, eine Stadt, von der wir nicht viel mehr als einen kleinen Park mit Brunnen und einen Supermarkt sehen, in dem Annika, kulinarisches Highlight, einen extrem reduzierten Zitronenkuchen findet. 
 
Kuchen zum Mittagessen macht auf jeden Fall gut satt und so lässt sich das Warten auf den Anschlussbus ausgezeichnet aushalten. Wellington empfängt uns am frühen Abend dann sehr freundlich, wir laufen an einer hippen Uferpromenade mit unseren vier Rucksäcken (und unserem mittlerweile halbierten Kuchen) entlang und finden schließlich die Haustür zu unserem Appartement in der Cuba Street, einer sehr lebendigen, wuseligen Ecke Wellingtons. Der Schlüssel zu unserer Tür ist mit Tape an die Rückseite des Briefkastens geklebt und unser Zimmer befindet sich über einem Teil des City-Campus der Uni, also insgesamt eine sehr spannende Unterkunft, in der wir uns aber sehr wohl fühlen.
 
Am nächsten Morgen wachen wir zu den Geräuschen der Großstadt auf, aber lassen diese schnell hinter uns, denn wir machen uns auf den Weg zum Mount Victoria, ein kleiner Berg – eher hoher Hügel – in Wellington. Dort kann man, wie wir vor Ort feststellen, sehr gut Mountainbike fahren (wir sehen ein paar beeindruckende Sprünge und Downhill-Fahrten) und, das hat uns hergeführt, ein paar Drehorte der Herr der Ringe Filme finden. Dass diese praktisch im Stadtpark der Hauptstadt liegen, anstatt wie viele der anderen fast unerreichbar in isolierten Tälern oder auf hohen Bergrücken, ist faszinierend, da darin die Möglichkeiten des Mediums Film sichtbar werden, einen alltäglichen Ort im Stadtpark in ein Fragment einer fiktiven Landschaft, in diesem Fall in einen Teil des Auenlandes, zu verwandeln. Ebenso interessant ist die dadurch stattfindende Wandlung des realen Ortes in einen besonderen, dem Stadtpark enthobenen, die schon dadurch sichtbar wird, dass wir nicht die einzigen sind, die eine exakte Stelle auf dem Weg oder eine besondere Astgabel im Baum suchen.
 
Nach einigen Fotos erklimmen wir den restlichen Berg, von dessen Gipfel(chen) wir Wellington und das viele Meer ringsum überblicken können und nehmen dann einen Stadtbus zu einem weiteren Ort mit, schon wieder, Herr der Ringe Bezug. Es ist keine Übertreibung, den Ort als eine der Keimzellen der Filme – und, um nicht zu monothematisch zu sein – einer Unmenge weiterer Filme, unter anderem Avatar, Narnia und Dune, zu betiteln. Wir besuchen Wētā Workshops, eine Produktionsfirma für Spezialeffekte und Requisiten, die für manche Filme nur ein einzelnes Schwert, für andere die gesamte Ausstattung, Kulissenbau, Make-up und Spezialeffekte macht. Schon der Shop neben den Studios ist beeindruckend, den Eingang bewachen riesige Trolle, im Inneren warten neben verlockend schönen Repliken und Miniaturen originale Requisiten diverser Filme auf uns. Der eigentliche Grund für unseren Weg hierher ist aber die Studiotour.
Da wir keine Bilder machen dürfen, muss der Text diese Aufgabe übernehmen:
In der ersten Aufnahme sehen wir einen Raum mit einer Wand, die über und über mit Gegenständen behangen ist, die die Bandbreite der Aufträge zeigen, die Wētā bekommt. Rüstungen und Schwerter aus Herr der Ringe hängen neben einem riesigen, fernsteuerbaren Affenkopf aus Godzilla; Gewehre aus Avatar neben dem überlebensgroßen, fast zwei Meter großen und unglaublich lebensechten Oberkörper eines Soldaten, der für ein Museum in Wellington hergestellt wurde. Dazwischen steht ein Oskar und Einladungskarten für diverse Filmpreise.
 
Das zweite Foto zeigt im Vordergrund ein Vampirgesicht, das auch aus der Nähe aussieht wie echte Haut mit echten Haaren (die Haare sind tatsächlich echt und alle einzeln eingesetzt) und keinen Hinweis darauf gibt, dass es sich eigentlich um eine Latexmaske handelt. Wie komplex und vielschrittig eine solche Maske in der Herstellung ist, wird an den vielen Gussformen und Zwischenstadien sichtbar, die im Hintergrund zu sehen sind. Ausgangspunkt ist dabei der Abguss des Gesichts eines Schauspielers, der die Maske bekommen soll, damit die Innenseite der Maske später perfekt anliegt und die Mimik auch mit Maske erhalten bleibt. 
 
Im nächsten Bild ist soviel zu sehen, dass wir an einzelne Bildausschnitt heranzoomen müssen, wir befinden uns jetzt nämlich in dem Raum, der den Schwerpunkt von Wētās Arbeit zeigt: Kostüme und Requisiten und, vor allem, Rüstungen und Waffen. Besonders interessant für uns ist natürlich die Vitrine in der Mitte, darin sind Elben- und Orkrüstungen, Frodos Schwert, Zwergenäxte, der Streitkolben des Hexenkönigs und eine Vielzahl weiterer Herr-der-Ringe-Requisiten. Auf der anderen Seite des Raumes sind dagegen Roboter und Superheldenanzüge, die zeigen, was Wētā außerhalb des Fantasy-Genres drauf hat. Auf dem Foto sind außerdem wir zu sehen, wie wir jeweils ein Schwert in der Hand halten, wir dürfen nämlich ausprobieren, wie sich Filmwaffen aus verschiedenen Materialien unterscheiden. Für Nahaufnahmen und den Sound gibt es (ganz schön schwere) Schwerter aus echtem Stahl, für den normalen Einsatz dagegen welche aus Alu, die weniger körperliche Belastung bedeuten und noch dazu nicht so klar reflektieren, was hilft, damit nicht dauernd Kameras oder Leute der Filmcrew in der Spiegelung auftauchen. Auch Waffen aus Kunststoff dürfen wir testen, sie haben den großen Vorteil, dass sie sich, beschwert mit einem Metallkern, wie Stahlwaffen handhaben, aber das Verletzungsrisiko deutlich reduzieren (Scheinbar hat John Rhys-Davies, der Schauspieler, der Gimli verkörpert, irgendwann nur noch Plastikwaffen bekommen, damit die Orkdarsteller nicht so viel abbekommen). 
 
Das letzte Bild aus den Wētā-Studios zeigt wieder einen übervollen Raum, dieses mal aber voller kleiner Dinge. Es geht um Modelle und Miniaturen, von denen Wētā sowohl welche für den Einsatz in Filmen, für die Planung realer Sets und Requisiten, aber auch für Film-Merchandise herstellt. Hier dürfen wir alles in die Hand nehmen und genau betrachten, außerdem ist ein Modellierer von Wētā da, den wir zu seiner Arbeit und den kleinen Miniaturen, die er gerade bemalt, befragen können. Die Macht der richtigen Bemalung wird hier sichtbar, aus sterilem Kettenhemdgewebe aus dem 3d-Drucker wird, mit ein bisschen Farbe, eine authentische Rüstung, der man jahrzehntelangen Einsatz abnimmt. 
 
Der kleine Einblick in die Filmstudios von Wētā ist gleichzeitig ein Blick hinter die Kulissen so großer Filme wie Avatar, Dune und Herr der Ringe und in allererster Linie ein Manifest für das Medium Film und eine Zelebration der Requisiten und Kostüme, die maßgeblich dazu beitragen, eine glaubhafte, ausgestaltete Welt erzählen zu können. 
 
Wir verlassen die Welt des Films und die Wētā-Studios und schlendern im Anschluss noch durch einen Teil Wellingtons, machen auf dem Weg einen kurzen Abstecher zum Flughafen, wo große Figuren von Wētā stehen und erreichen schließlich wieder die lebhaften Straßenzüge rund um die Cuba-Street, wo wir wohnen. Auch wenn uns Wellington als Stadt überraschend gut gefällt, machen wir uns am nächsten Morgen früh auf den Weg zum Hafen, wo uns eine Fährfahrt nach Picton und damit auf die Südinsel erwartet. 
 
Die Fährfahrt ist schön, wir halten fleißig Ausschau nach Delfinen und haben tatsächlich das Glück, ganz kurz welche aus den Wellen springen zu sehen. Am Pier in Picton angelegt geht es für uns, nachdem Annika mit der Aussicht auf ganz schön kalte Nächte auf der Südinsel einen Fleecepulli gekauft hat, weiter nach Kaikoura. Die Straße führt lange Zeit am Meer entlang und wir können unsere ersten Seelöwen in Neuseeland entdecken, die sich auf Felsen und am Strand tummeln. Die Delfine, die kurz darauf nochmal aus dem Wasser springen, lassen uns auf eine gute Portion Tierglück auf der Südinsel hoffen. 
 
In Kaikoura zelten wir auf einem Campingplatz mit interessantem Konzept: In der Mitte steht ein Container, der die notwendige Infrastruktur bereitstellt. Um die Duschen, Herdplatten oder Strom nutzen zu können, muss man diese dann mithilfe eines Chipanhängers, auf den Guthaben geladen ist, aktivieren. Dafür kostet die Übernachtung selbst ziemlich wenig und da wir einen Gaskocher und Powerbanks haben, kommen wir halb so teuer weg, wie auf einen normalen Campingplatz. Kaikoura ist eine hübsche kleine Stadt an der Ostküste und, das hat uns hergeführt, bietet gute Chancen, marine Säugetiere, vor allem Seelöwen, Delfine und Wale, zu sehen.
Unser Plan für den nächsten Tag ist deshalb, die Halbinsel, die sich bei Kaikoura ins Meer erstreckt, zu umwandern, da dort eine Seelöwenkolonie angesiedelt ist. Es ist überraschend heiß und wir kommen ordentlich in schwitzen, sodass wir sogar mit dem Gedanken spielen, kurz ins Meer zu hüpfen. Wir umrunden die Spitze der Halbinsel und entdecken schließlich die ersten dunklen Flecken auf den Felsen, eindeutig Seelöwen! Wie viele verteilt auf den Felsen liegen, ist schwierig zu schätzen, aber es sind viele. Ein Stück weiter führt uns der Weg dann sehr nahe an eine Gruppe Seelöwen heran, wir verbringen lange Zeit mit Fotografieren und Beobachten und können Seelöwen beim aus dem Wasser kommen, sich einen Platz auf den Felsen suchen, bei Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Männchen oder beim Navigieren ihrer Seelöwenbabys über die Felsplatten zuschauen. Die ganze Zeit gibt es etwas zu sehen und so verlassen wir die Seelöwen erst, als unsere Zeit für den Rückweg knapp zu werden droht. Außer der Kolonie gibt es auch noch eine Menge anderer Sachen zu entdecken, Maskenkibitze stolzieren in unserer Nähe entlang der Gezeitentümpel und wir entdecken zwischen Treibgut die ausgetrockneten Skelette dreier Seelöwen, eines davon das eines Seelöwenbabys. Auch an dem schwarzen Sandstrand, der zurück zu unserem Campingplatz führt, machen wir sehr überraschende Funde, wir finden zwei Haifischköpfe und den Körper eines großen Aals im Sand.
 
Wir verlassen Kaikoura am nächsten Tag, aber nicht ohne noch einmal die Uferpromenade entlang zu schlendern, aus versehen zwei Eis zu kaufen (wirklich, eigentlich wollte Fabian nur eins kaufen!) und (mit unserem kompletten Gepäck…) an die andere Seite der Stadt zu laufen, um dort die Gezeitentümpel abzusuchen. Mittags geht es dann mit dem Bus weiter nach Christchurch, wo uns unser Mietwagen erwartet (wahrscheinlich mit der gleichen Mischung aus Vorfreude und leichter Panik vor Linksverkehr wie wir) und wir abends erschöpft und durch einen Regenschauer durchnässt mit mittelmäßiger Laune in unser Zimmer ein Stück außerhalb der City einchecken.