#04 Alles Vulkanisch

#04 Alles Vulkanisch

Unsere nächste Etappe beginnt mit einem altbekannten Problem: Wir müssen von unserem Campingplatz am Lake Karapiro zur Bushaltestelle in Cambridge, eine Strecke von zehn Kilometern, der wir, angesichts unserer vier voll bepackten Rucksäcke, mit wenig Enthusiasmus entgegenblicken. Mit viel Zeitpuffer machen wir uns früh morgens auf den Weg und scheinen diesen zunächst auch zu brauchen, denn während wir am Anfang noch guten Mutes auf eine Mitfahrgelegenheit spekulieren, schwindet diese Hoffnung mit jedem Auto, das an uns vorbei fährt. Wir haben schon über die Hälfte der Strecke hinter uns, als endlich doch ein Auto stoppt, in dem uns nicht nur die Fahrerin, sondern auch ein aufgeregter Greyhound mit dem Namen Hazel, der für uns von der Rückbank in den Kofferraum unziehen muss, begrüßen.
 
Damit haben wir den aufregendsten Teil der heutigen Reise schon hinter uns und es geht mit einem vollen Intercity-Bus in Richtung unseres nächsten Ziels:
 
Rotorua; eine Stadt, die bereits bei der Fahrt ins Zentrum eine gute Show liefert. Durch die Busfenster beobachten wir, wie große Dampfwolken aus dem Stadtpark aufsteigen und als sich die Bustüren zischend öffnen, strömt uns der beißende Geruch von Schwefel entgegen. Der Vulkanismus, in Neuseeland in Gestalt der vielen Vulkankrater generell sehr präsent, ist hier unüberseh- und unüberriechbar. Grund dafür ist die Lage der Stadt in der Taupō Volcanic Zone, einem aktiven Vulkangebiet, in dem die Erdkruste besonders dünn ist (teilweise nur 10km, 1/3 bis 1/4 der Dicke in Deutschland). Das führt zu einer Menge geothermischer Aktivität, die wir in den nächsten Tagen entdecken wollen. Doch so lange müssen wir gar nicht warten, denn am Campingplatz angekommen, macht sich schon beim Zelt aufbauen blubbernd und mit gelegentlichen Schwefelschwaden ein kleiner Schlammtopf bemerkbar. Eine heiße Quelle mit wenig Grundwasserzufluss bildet dabei vermischt mit Ton oder vulkanischer Asche eine blubbernde, dampfende Matsche. 
 
Allerdings lernen wir auch schnell, dass, so toll die unmittelbare Präsenz einer solchen vulkanischen Erscheinungsform auch ist, ein Zeltplatz in Reichweite der vulkanischen Gase eine gewisse Belastung sein kann – vor allem wenn man, wie Annika, eine gute Nase hat, die sich erst an den nie ganz verfliegenden Geruch von faulen Eiern gewöhnen muss. Die Pukekos, große blau-schwarz gefiederte Vögel mit roter Stirn, die unser Zelt am nächsten Morgen auf Futtersuche neugierig beäugen, scheinen sich daran allerdings nicht im Geringsten zu stören.

Der Geruch nach Schwefel bleibt auch am nächsten Tag unser stetiger Begleiter. Es geht nach Wai-O-Tapu und schon aus der Ferne sieht man im Wald zwischen den Bäumen immer wieder Nebelschwaden in den Himmel aufsteigen. Wir kommen mit unserem Bus gerade rechtzeitig an, um eine der Hauptattraktionen des Geothermalparks miterleben zu können: Den Ausbruch des Lady-Knox-Geysirs, der immer um genau 10:15 Uhr vonstatten geht. Diese Regelmäßigkeit ist allerdings nicht ein Zufall der Natur, sondern – wie der gesamte Geysir – Produkt einer historischen Zufallsentdeckung. Um 1901 wurden die von heißen Quellen gespeisten Teiche zum Wäsche waschen genutzt. Die Seife, die dabei im Spiel war, sorgte zur Überraschung aller dafür, dass dort, wo bislang nur ein warmer Teich gewesen war, auf einmal eine Wasserfontäne in die Höhe schoss. Die Erklärung dafür liegt darin, dass die gleichen geologischen Strukturen wie bei einem natürlichen Geysir unter der Erdoberfläche vorhanden sind, der unterirdische Druck aber nie hoch genug wird, dass es zu einem Ausbruch kommt. Kommt Seife ins Spiel ändern sich das (wie genau, scheint kompliziert zu sein) und der Geysir bricht aus.

 
Dieser Trick funktioniert auch heute, wo wir da sind, hervorragend und er bricht zuverlässig aus, nachdem eine erstaunlich kleine Menge Seifenpulver in den Schlot gekippt wurde. Der Ausbruch selbst steht einem natürlichen Geysir jedoch in nichts nach und eine beeindruckende Menge kochenden Wassers wird ca. sieben bis zehn Meter hoch in die Luft geschleudert. Einzig einige Seifenblasen schweben noch verräterisch aus dem Wasserdampf davon.
 
Dass der Geysir der vermutlich pünktlichste und zuverlässigste der Welt ist, bringt allerdings auch mit sich, dass wir, wie erwartet, alles andere als alleine sind, aber wir legen nach dem Geysir erst mal ein strategisches spätes Frühstück ein, bevor wir uns auf den Weg durch den Geothermalpark machen, wodurch sich die Touristenströme gut verteilt haben. 

In Wai-O-Tapu zeigt sich die vulkanische Aktivität überall und in verschiedensten Formen. Direkt zu Beginn führt uns der Weg an mehreren kleinen, zusammengestürzten Kratern entlang, die wie Löcher in einem Käse in den Boden eingeschnitten sind und von deren Grund fauchend Dampfwolken aufsteigen (kurzer Herr der Ringe Funfact: Die Geräusche aus einem dieser Krater wurden für die Soundkulisse Mordors verwendet). Nach ein paar Schlammtöpfen (wie hinter unserem Zelt, nur größer) eröffnet sich dann das Panorama mit den beeindruckendsten Erscheinungen Wai-O-Tapus: Im Zentrum sprudelt der Champagne Pool, ein 62 Meter tiefer, an der Oberfläche 74°C heißer dampfender Teich, in dem unzählige Bläschen CO2 aufsteigen, die dem Pool seinen Namen geben. Außer CO2 bringt das Wasser aber noch einen Haufen anderer Stoffe mit nach oben, die für die spektakuläre Vielfarbigkeit rund um den Champagne Pool verantwortlich sind. Der Bereich rund um den Champagne Pool trägt deshalb den passenden Namen Artist’s Palette und schillert in rot, gelb, orange und blau und je nach Blickwinkel und Licht in unzähligen weiteren Farbnuancen. Von dort fließt das Wasser aus dem Champagne Pool weiter über die in den letzen Jahrhunderten entstandenen riesigen Sinterterassen, die sich immer weiter in das umliegende Waldgebiet ausbreiten.

Vom Champagne Pool führt uns der Weg weiter zu einer großen Ebene, Papa Wera (Englischer Name: Frying Pan Flat), auf der zahlreiche kleine heiße Quellen vor sich hin blubbern. Am Rand der Ebene eröffnet sich die Rua Whānāriki (Sulphur Cave), eine kleine Höhle, die von vulkanischen Gasen gelb gefärbt ist. Der Weg endet schließlich an einem großen See, der aufgrund ganz fein gelöster Mineralien die Sonne so reflektiert, dass er besonders grün wirkt. Damit kann er allerdings nicht im Ansatz mit der neongrünen Farbe eines kleinen Sees am Ende des Rundwegs mithalten, der aus den selben Gründen, aber noch viel intensiver, leuchtend grün strahlt. 
 
Damit endet unser Besuch in Wai-O-Tapu, aber bevor wir mit dem Bus zurück nach Rotorua fahren, gibt es auf dem Weg noch etwas ganz besonderes zu entdecken. Der durch die heißen Quellen sehr warme Wai-O-Tapu Stream fließt hier mit einem kalten Fluss zusammen, wodurch an der Hot ‘n’ Cold genannten Stelle die perfekte Temperatur für ein angenehm heißes Bad zu finden ist, was wir ausgiebig genießen. Auf dem Weg von dort zum Bus machen wir dann noch kurz an einem Areal voller sehr spuckfreudiger Schlammvulkane halt, bevor wir abends erledigt ins Zelt fallen. 
Der nächste Tag führt uns in den Stadtpark Rotoruas, klingt langweilig, ist aber in einer Stadt wie Rotorua nicht zu unterschätzen… Zuerst entdecken wir Pūkekos, und, das ist das wirklich tolle, Pūkeko-Küken, die im sumpfigen Teich von den großen Pūkekos gemeinsam umsorgt werden (mehrere Pūkekos legen nämlich ihre Eier in ein gemeinsames Nest, haben wir ergoogelt). Außerdem gibt es – einfach so im Stadtpark – nochmal eine Menge heißer Quellen und Schlammtöpfe. Unser Plan, heute mal nicht so viel zu laufen, scheitert dann endgültig daran, dass wir noch einen Abstecher zum Lake Tāupo machen und dann – aufgrund der sehr sporadisch fahrenden Stadtbusse – zum Zeltplatz zurücklaufen müssen. 
 
Hier endet fürs erste unsere Zeit in Neuseeland… aber nur, um für den nächsten Tag in die fiktive Welt Mittelerdes zu springen, danach kehren wir, versprochen, sofort wieder in die Realität zurück!