#09 Meer, Berg, Meer
#09 Meer, Berg, Meer
In Christchurch erwartet uns ein Leihauto und damit eine gewaltige Veränderung unserer Art zu reisen. Also kein Herumplanen um die Verbindungen und Stops des Intercitybusses mehr und nicht mehr nur Campingplätze und Wanderungen in der Nähe der Haltestellen, dafür aber auch keine entspannte Busfahrt mehr, sondern ab auf die Straße (auf die linke Seite, nicht sie rechte!) und selbst ans Ziel kommen.
Wir bekommen ein kleines Auto, einen grauen Mazda Demio, dem man ansieht, dass er schon viele Kilometer auf der Insel hinter sich hat und vermutlich nicht immer auf den befestigten Straßen geblieben ist. Das ist eigentlich nicht schlecht für uns, ein paar kleine Kratzer mehr oder weniger sollten da kaum auffallen… Zunächst geht es aber sehr sanft auf den Straßen Christchurchs los, mit gleich zwei Umgewöhnungen, Linksverkehr und Automatikschaltung, ist das auch schon herausfordernd genug! Wir schaffen es ohne Zwischenfall aus Christchurch heraus und genießen die neuen Möglichkeiten, die uns ein Auto bietet, indem wir erst mal die Hauptrouten hinter uns lassen und Richtung der “Banks Peninsula” fahren, eine große Halbinsel südöstlich von Christchurch. Unser erstes Ziel dort ist ein winziges Dorf mit dem Namen Birdling’s Flat, das, man kann es sich denken, so heißt, weil früher ein gewisser Mr. Birdling dort sein Haus hatte. Viele weitere sind seitdem nicht dazu gekommen, aber uns interessiert vor allem der endlos lange Kiesstrand, der sich von der Häuseransammlung entlang der Ostküste erstreckt und an dem man gut Halbedelsteine finden können soll. Das Wetter ist stürmisch und die Wellen sind hoch, aber das hält uns nicht davon ab, unser Glück zu versuchen… Tatsächlich sind die Kiesel an diesem Strand ungewöhnlich bunt und spannend und so verbringen wir dort ganz schön lange und kehren mit viel zu vielen Steinen zurück ans Auto. Die meisten davon sind bestimmt keine Halbedelsteine, aber wir sind uns zumindest relativ sicher, einige Steine von rotem Jaspis gefunden zu haben. Außer Steinen haben wir außerdem Haieier gefunden, vermutlich von Ghost Sharks und seeehr zerbrechlich, mal schauen, was davon in Flein ankommt…
Wir suchen und finden einen Zeltplatz ganz in der Nähe im kleinen Örtchen “Little River”, wo wir unser Zelt aufbauen und dann schnell zum namensgebenden Flüsschen gehen, um nach den darin heimischen Aalen zu suchen. Wir müssen nicht lange suchen, denn direkt unter einer kleinen Brücke, an der der Bach tiefer ist, sind um die dreißig Exemplare zwischen ein und zwei Metern und sobald etwas die Wasseroberfläche durchbricht (wie wir beim Versuch zu Filmen) kommen sie aus allen Richtungen angeschlängelt, ziemlich cool aber auch ein bisschen gruselig.
Am Abend erwartet uns dann noch eine Überraschung, als das uns bisher sehr wohlgesonnene Wetter umschlägt und wir uns gerade im Zelt eingekuschelt haben. Langsam aber sicher lassen sich die in beunruhigender Geschwindigkeit wachsenden dunklen Flecken an unserer Zeltdecke und vor allem auf dem Boden nicht mehr ignorieren. Als es anfängt, an mehreren Stellen von oben zu tropfen und sich unsere Isomatten von unten vollsaugen, beschließen wir, dass es Zeit dafür ist, die Zelte, bzw. unser Zelt wortwörtlich abzubrechen und uns mitsamt unserem Gepäck ins Auto zu flüchten. Wir sind ziemlich gestresst, aber unsere Nacht im Auto stellt sich am nächsten Morgen dann doch als angenehmer und geruhsamer als erwartet heraus.
Auch heute bleibt das Wetter durchwachsen, aber ein feiner, stetiger Nieselregen hat die großen Tropfen der letzten Nacht abgelöst. Um eine Weile vor dem Regen zu fliehen, machen wir uns auf die Fahrt nach Akaroa. Das kleine Städtchen bietet neben französischen Straßennamen ein kleines, aber sehr gut gemachtes Museum, das die historische Entwicklung Neuseelands anhand lokaler Ereignisse beleuchtet. In dem kleinen Städtchen steckt historisch nämlich mehr, als man erwarten würde. Von einem Haufen Franzosen, ein paar Deutschen und einem Belgier gegründet war es Zentrum des französischen Versuchs, Einfluss über die Südinsel gegenüber den Briten zu erlangen und zu bewahren. Besonderes Augenmerk wird im Museum aber auch auf die Māori-Historie der Gegend gelegt, zahlreiche Fundstücke zeugen von der langen Besiedlung der Halbinsel.
Entgegen unserer Erwartungen sieht unser Zelt, das wir am Morgen bereits aus der Pfütze, in der es stand, verlegt haben, nicht trocken, aber lange nicht mehr so nass wie erwartet aus und unsere Isomatten konnten im überdachten Kochbereich trocknen, sodass wir trotz des anhaltenden Regens einen erneuten Versuch wagen, die Nacht im Zelt zu verbringen. Und wir haben tatsächlich Glück!
Nach einer fast trockenen Nacht machen wir uns am nächsten Tag auf in Richtung der Southern Alps, das Gebirge, das die westliche Seite der Südinsel von Norden nach Süden dominiert. Von unserem ursprünglichen Plan, zuerst die Berge zu überqueren und entlang der Westküste in den Süden zu fahren, sind wir aufgrund von überschwemmten Straßen auf dieser Route abgewichen und bleiben für die Fahrt in den Süden östlich der Berge. Zunächst geht es an den Lake Tekapo, wo wir eine Nacht zelten und dann weiter nach Twizel, eine Kleinstadt – mit Campingplatz – in der Nähe eines sehr großen Sees, des Lake Pukaki.
Dorthin führt uns unser erster Ausflug in der Gegend, entlang des auffallend helltürkisenen Wassers des Sees windet sich eine Straße, auf der sich ein spektakulärer Ausblick mit dem nächsten abwechselt. Wir fahren bis zum Ende des Sees, von wo aus sich das breit eingeschnittene Tal weiter in die Berge fortsetzt, statt mit Wasser aufgefüllt bewachsen mit niedrigen Büschen und strohigem Gras. Dort machen wir eine kleine Wanderung, die uns – nicht ganz zufällig – zu einem Drehort der Herr der Ringe Filme bringt. Da wir nur einen Tag im Gebiet rund um den Mount Cook eingeplant haben, müssen wir uns bald auf den Rückweg nach Twizel machen, wo wir eine weitere, längere Wanderung geplant haben. Der Pyramid Saddle Walk beginnt an einem kleinen, schlammigen Parkplatz und bleibt zunächst auf einem Feldweg, bis wir vor einem verschlossenen Gatter stehen. Wir sind schon kurz davor, notgedrungen umzukehren, als wir einen kleinen Trampelpfad entdecken, der vom Feldweg abzweigt. Da am Start des Weges extra darauf hingewiesen wurde, dass die Strecke durch Privatgrundstücke führt und deshalb nicht verlassen werden soll, sind wir sehr unsicher, ob wir hier richtig sein können, aber der Weg wird schließlich wieder breiter und führt uns durch grasbedecktes Farmland, eine düstere Forstplantage und schließlich auf einem absurd steilen, schnurgeraden Pfad zu unserem Ziel, dem Pyramid Saddle, wo wir das erste Mal auf unserer Wanderung anderen Menschen begegnen, die hier Mountainbike fahren. Zurück laufen wir die selbe Strecke, langweilig wird es aber nicht, da wir an einem Hang lauter Knochen entdecken. In der Nähe des Parkplatzes erwartet uns dann – zum zweiten mal an diesem Tag – noch eine Herr der Ringe Location, diesmal die “Pelennor Fields” eine große Ebene, bei der es uns gelingt, fast exakt den richtigen Punkt zu finden, damit unser Foto wie der Shot aus dem Film aussieht. Zurück am Campingplatz versuchen wir uns als es Nacht geworden ist noch darin, den Sternenhimmel zu fotografieren, da wir uns gerade im “Dark Sky Reserve” befinden, einem Gebiet mit sehr geringer Lichtverschmutzung, was beim Blick in den zu unserem Glück wolkenlosen Himmel auffällt, wo die Milchstraße und eine Riesenmenge Sterne zu sehen sind.
Von den großen Seen rund um den Mount Cook geht es am nächsten Tag wieder ans Meer zurück, wir folgen von Twizel aus dem Waitaki-River bis zur Flussmündung in Oamaru. Da wir nicht die ganze Strecke am Stück fahren möchten, machen wir ein paarmal halt und haben richtiges Glück mit den Orten, die wir dabei entdecken. Der erste Stopp ist an einem Staudamm, der den Waitaki-River zum Lake Benmore aufstaut, von dem aus wir eine Halbinsel umrunden können, wobei uns der Weg höher als erwartet auf die Spitze der Halbinsel führt, von wo aus ein großer Teil des bergigen Umlands überblickt werden kann. Im bewaldeten Flusstal am Fuß des Dammes gehen wir dann noch eine Runde spazieren, wobei uns vor allem die vielen sehr an uns interessierten Fantails aufhalten, kleine hektisch umherflatternde Vögelchen, die näher als alle anderen Vögel zu einem kommen und einem teils mehrere hundert Meter weit in kurzem Abstand hinterherfliegen.
Nachdem unsere Straße dem Fluss ein gutes Stück, fast bis zur Mündung gefolgt ist, machen wir einen kurzen Abstecher zu den “Elephant Rocks”: tollen, von Wind und Wetter rundgeschliffenen Steinbrocken auf einer Schafweide, die, was uns sehr Spaß macht, beklettert werden dürfen. Wir bleiben natürlich eine Weile, Fabian bouldert – so gut es ohne Kletterschuhe und Crashpad geht – an den Felsen rum, während Annika nicht nur rumklettert, sondern sich auch noch an die Schafe anpirscht, um gute Fotos einzufangen. Es ist schon dunkel geworden, als wir nach ereignisreicher Fahrt an unserem Ziel ankommen, ein kleines Dorf namens Kakanui an der Mündung des Kakanui-Rivers, wo wir für drei Nächte zelten (wir brauchen nämlich mal wieder einen Tag für Reiseplanung und sonstiges Orgazeug, muss auch sein…).
In Kakanui haben wir ruhige zwei Tage, wir sind richtig sportlich und gehen eine etwas chaotische Runde laufen (alle unsere Wege enden in Sackgassen) und sammeln Pāua-Muscheln im Regen. Dabei kann man zwischen beeindruckend hohen Wellen auf den Überresten eines wie ein Halbkreis zur Hälfte im Meer liegenden Vulkankraters herumbalancieren, der nur bei Ebbe aus dem Wasser ragt. Wir entkommen zwar mehrmals knapp trockenen Fußes den Wellen, sind aber machtlos gegen den plötzlich einsetzenden Schauer von oben, der uns einmal komplett durchnässt, bevor wir zurück auf den Zeltplatz geflüchtet sind.
An unserem zweiten Tag fahren wir nachmittags nach Oamaru, sind aber beide etwas unterwältigt von dem Städtchen, auch weil (um halb vier!) irgendwie alles schon im Schließen begriffen ist, als wir ankommen. Deshalb fahren wir schnell weiter zu einem Strand in der Nähe, an dem es eine Gelbaugen-Pinguin-Kolonie gibt. Wir sehen von der weit über dem Strand gelegenen Plattform erst mal nur ein paar Seelöwen. Also warten wir… und warten… schon bald sehen wir überall Pinguine, die sich im Zoom der Kamera dann aber doch als Elsterscharben oder Möwen herausstellen. Motivation durchzuhalten bieten uns trotzdem zwei Sachen: Die Pinguinsichtung des Paares, das vor uns auf der Aussichtsplattform war und die große Packung Kekse in unserem Rucksack. Leider helfen alle Kekse nicht und wir müssen irgendwann einsehen, dass wir nicht mal mehr erkennen würden, wenn die gesamte Kolonie auf einmal über den Strand gewatschelt käme. Eine kleine Hoffnung haben wir aber immer noch, denn am Hafen in Oamaru gibt es eine Kolonie Blue Penguins, die Nachts anscheinend regelmäßig über den beleuchteten Pier watscheln sollen. Wir schlendern also den Pier auf und ab, aber außer den bestimmt hundert Elsterscharben, die ihr Nachtlager auf einem Holzsteg im Hafen haben, tut sich sehr wenig.
Nachdem wir bei beiden Kolonien in Oamaru erfolglos geblieben sind, beschließen wir, am nächsten Tag auf Nummer sicher zu gehen und in Dunedin eine abendliche Pinguin-Beobachtung, organisiert vom dortigen Royal Albatross Center, zu machen. In Dunedin landen wir mittags erst einmal auf einem richtig tollen Zeltplatz, nämlich einen Freedom Campingplatz, einer großen Wiese mit einfachen Sanitäranlagen, auf der man kostenlos sein Zelt aufstellen kann. Noch dazu liegt er direkt hinter den Dünen, sodass wir gleich einen Ausflug zum Strand machen, wo wir Bruchstücke von Sanddollars finden, ungewohnt aussehenden Seeigeln, deren Skelette angespült werden und in dreieckige, sehr fragile Segmente (was noch zum Problem werden wird) zerbrechen.
Es ist später Nachmittag, als wir von Dunedin aus die langgestreckte Halbinsel mit dem Royal Albatros Center an ihrer Spitze vorfahren. Dort bekommen wir zu Beginn einen sehr langen, thematisch nicht ganz passenden Vortrag (es geht um die Besiedelung Neuseelands und Māori-Geschichte, eigentlich interessant, aber nicht das, weshalb alle hier sind). Dann, mittlerweile dämmert es, geht es hinunter auf eine Beobachtungsplattform am Strand. Und tatsächlich müssen wir gar nicht lange warten, denn einer der Guides weist uns auf einen kleinen dunklen Wellenberg hin, der dem Strand schnell näherkommt und sich in der Brandung als ein etwas unelegant anlandender Pinguin entpuppt. Als so kleine Kreatur ist es selbst für gewandte Schwimmer wie Pinguine anscheinend nicht leicht, den Wellen zu entkommen und so muss er sich mit ein paar beherzten Sprüngen auf den Strand retten, bevor eine Welle ihn nochmals fast unwirft. Von dort beginnt der für Pinguine gefährlichste Teil ihres Weges, der Weg über den offenen, ungeschützten Strand bis zu ihren Bruthöhlen, die im hohen Gras dahinter liegen. Eigentlich kommen die kleinen Blue Penguins deshalb in größeren Gruppen auf einmal an den Strand geschwommen, aber der erste Pinguin des Abends hat sich ganz alleine aus dem Wasser gewagt. Zunächst schaut er sich am Strand um, noch kann er bei einer möglichen Gefahr gleich wieder ins Meer zurückspringen, aber es scheint alles sicher zu sein, denn er beginnt mit kleinen, tapsenden Schritten das Ufer hinter sich zu lassen und zuerst den Strand und dann ein kleines steiniges Feld zu durchqueren, was eine sichtbare Herausforderung ist. Nicht nur einmal landet er recht unsanft auf einem der Steine, aber laut der Guides sind die Pinguine durch ihre dicke Fettschicht ziemlich hart im nehmen. Endlich hat er es geschafft und ist im sicheren Schutz des hohen Grases. Dort beginnt er erstmal in aller Ruhe sein Gefieder zu putzen, das – namensgebend – tatsächlich sehr blau ist. Er ist nicht lange alleine, denn eine größere Welle nähert sich bald und spuckt einen ganzen übereinanderpurzelnden Haufen Pinguine aus, die, wie ihr Vorgänger, den Weg über den Strand so schnell wie möglich hinter sich bringen, um dann in der Sicherheit des Grases in Gruppen beisammenzustehen und ihr Gefieder zu putzen. Die ersten Pinguine machen sich jetzt auch auf den Weg zu ihren Höhlen, wobei sie ganz nahe, höchstens in einem Meter Abstand an der Plattform vorbei kommen. Wir haben richtig viel Glück, denn nach der ersten schon großen Gruppe landet ein wenig später noch eine zweite, wodurch es im Eingangsbereich der Kolonie richtig wuselig wird und viel Geschnatter gibt. Danach wird es allmählich ein bisschen ruhiger, immer mehr Pinguine wandern zu ihren Höhlen, aber obwohl es schon lange nach Dämmerung ist, kommen noch mehrmals kleine Gruppen an Nachzüglern, meistens zwei oder drei, manchmal auch einzelne, so dass, als die Guides, die schon zwanzig Minuten länger als nach Plan mit uns warten, noch immer eine ganze Gruppe Pinguine am Eingang der Kolonie steht. Wir müssen uns schließlich leider doch von den Pinguinen verabschieden und zu unserem Auto zurück kehren. Insgesamt sind in der Zeit, in der wir am Beobachten waren, 31 Pinguine aus dem Meer gekommen und zu ihrer Kolonie gewatschelt, womit wir im Vergleich zu den Wochen davor richtig großes Glück hatten, in denen an manchen Tagen nur eine handvoll Pinguine aufgetaucht sind. Schön war für uns auch die Art und Weise, wie die Beobachtung organisiert wurde, da wir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatten, dass die Pinguine durch unsere Anwesenheit gestört waren und wir, auch wenn es eine touristische Attraktionen ist, in Ruhe ausführlich beobachten konnten.
Vor dem Rückweg versuchen wir dann nochmal, den Sternenhimmel im Foto einzufangen, da auch heute keine Wolke zu sehen ist. Dass es eine wolkenlose Nacht ist, macht sich dann auch im Zelt bemerkbar, wo es trotz Wärmflasche im Schlafsack ganz schön fröstelig wird.