#07 Into the wild

#07 Into the wild

Schon beim Tongariro-Crossing haben wir, von der aufgehenden Sonne in warmes Licht getaucht, unser nächstes Reiseziel in der Ferne entdecken können: Der unverkennbare Gipfel des Mount Taranaki. Um dorthin zu gelangen, müssen wir aber erst einmal einen Zwischenstopp in New Plymouth machen, einer Stadt an der Westküste Neuseelands, wo wir eine Nacht zelten, unsere großen Rucksäcke für vier Tage unterstellen und am nächsten Morgen mit dem Intercity-Bus Richtung Nationalpark starten wollen. Mit deutlich reduziertem Gepäck machen wir uns am nächsten Morgen also auf den Weg, kaufen im Supermarkt noch alles an Essen, was gut satt macht, aber nicht so schwer ist (also vor allem Tütensuppe, Nudeln, Porridge und Müsliriegel) und werden dann vom Bus nach Egmont Village gebracht, ein Ort, dessen Zentrum aus genau einem Café und einer Tankstelle besteht. Allerdings sind wir immer noch gute acht Kilometer vom Nationalpark entfernt, bevor es dann nochmal acht Kilometer den Berg bis zu unserer Hütte für die nächten drei Nächte hinauf geht. Kein ganz kurzer Marsch mit dem doch gar nicht soo leichten Gepäck, das wir tragen müssen… Aber wir laufen gut gelaunt los und werden von den Bewohnern der riesigen Farmen bei Laune gehalten: Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner und Schweine mit langem gekräuseltem Fell. Wir sind erst ein paar Kilometer gelaufen, als ein Pick-up Truck neben uns hält und uns fragt, ob er uns ein Stück mitnehmen soll. Dagegen haben wir natürlich nichts und zwischen etlichen Spinnweben auf der Rückbank werden wir bis zu einer Farm ein paar Kilometer weiter cheauffiert. Wir sind kaum außer Sichtweite der Farm, als wir schon wieder Glück haben und uns zwei ältere Frauen fragen, ob sie uns mitnehmen sollen. Mit dieser Mitfahrgelegenheit haben wir sogar noch mehr Glück, denn die beiden sind auf dem Weg zum Visitor Center, das direkt unter unserer Hütte liegt.
 
Unsere geplante Tageswanderung bis dorthin endet, mithilfe sehr netter Menschen, dadurch um 9:30 Uhr morgens an unserem Zielpunkt. Am Camphouse, so heißt unsere Hütte, angekommen, können wir den Schlüssel für unser Achtbettzimmer aus einem Schlüsselkasten holen, unser Gepäck abstellen und dann erst mal einen Abstecher ins Visitor Center machen, wo wir eine Karte kaufen und uns nach den Bedingungen für die Summit Tour erkundigen. Tatsächlich sehen die Bedingungen ganz gut aus, bis auf ein bisschen Eis am Krater spielt das Wetter hervorragend mit. 
 
Nachdem wir so unerwartet früh unser Tagesziel erreicht, aber noch genug Power in den Beinen haben, beschließen wir, schon heute den Berg auf einer kleinen Tour zu erkunden. Auf dem Maketawa-Track schlagen wir uns ins feuchtgrüne Unterholz des “Goblin-Forest”, wo uns ein schmaler Pfad zwischen moosbewachsenen und flechtenbehangenen, dicht beiananderstehenden Bäumen über hohe Wurzelstufen immer weiter in den Wald hineinführt. Der nach einer Weile einsetzende Nieselregen trägt zusätzlich dazu bei, dass der Wald seinem Namen gerecht wird, ringsum tropft es von den moosigen Ästen und wir sind froh über das dichte Blätterdach über unseren Köpfen. 

Als wir schließlich doch wieder aus dem Wald heraus finden und an unserer Hütte ankommen, sind schon die ersten von insgesamt sieben Mitbewohner*innen, die mit uns in der Hütte übernachten, da. Eine von ihnen ist Dani, eine Neuseeländerin, die uns fragt, ob wir sie – sehr spontan – zu einem Strand in der Nähe New Plymouths begleiten wollen, um dort den Sonnenuntergang anzuschauen. Am Meer angekommen erwartet uns erstmal eine Klippe und ein sehr steiler Abstieg über ein Sandfeld. Am Fuß der Klippe wartet die nächste Überraschung auf uns: Im schwarzen Sand liegen ausgehöhlte Kürbisse, eindeutig zu spät für Halloween… Der Sonnenuntergang selbst ist schön, aber viel beeindruckender ist ein riesiger Schwarm Vögel, der sich über einer kleinen, dem Strand vorgelagerten Insel sammelt, um dort ihr Nachtquartier zu beziehen. Wir machen, nachdem die Sonne in den Wolken statt im Meer versunken ist, das gleiche und fahren zurück zu unserer Hütte, wo uns angesichts unseres Plans, am nächsten Tag den Gipfel zu besteigen, eine kurze Nacht erwartet. 

Um 4:30 Uhr klingelt unser Wecker. Wir sind überraschend schnell wach genug, um aufzustehen und brechen mit ein paar Müsliriegel als Frühstück zum Gipfel auf. Es ist noch Nacht, aber auf dem breiten Weg, der uns bis zur Waldgrenze führt, bräuchten wir nicht einmal die Stirnlampe, die wir auf haben. Die ersten Sonnenstrahlen beginnen gerade, den Himmel in der Ferne zu verfärben, als das erste anspruchsvollere Wegstück beginnt. Der Weg windet sich rechts und links an kleinen Felsbrocken vorbei ein Tal hinauf und kommt schließlich an einer langen Kaskade von steilen Holztreppen an, die aus der Talsohle hinaus auf einen breiten Grat führen, der von Kies und kleinem Geröll bedeckt ist. Helfen zu Beginn noch die vielen Felsen dabei, nicht mit dem Geröll ins Rutschen zu geraten, werden diese immer spärlicher, bis wir komplett von Geröll umgeben sind und fast jeder Schritt erstmal ein Stück wegrutscht, bis der Fuß irgendwo Halt findet. Vorwärts zu kommen wird dadurch zu einer echten Herausforderung und jeder Meter nach oben muss mühsam erarbeitet werden. 

Zum Glück lenkt der schon aus unserer Höhe beeindruckende Ausblick von den Strapazen ab, wir sind bereits über den Wolken, als die Sonne aufgeht und können in der Ferne die Vulkangipfel des Tongariro-Nationalparks aus den orange eingefärbten Wolken aufragen sehen. Trotz des beeindruckenden Panoramas scheint das Geröllfeld unter unseren Füßen einfach nicht enden zu wollen. Kuppe um Kuppe nähern wir uns in der Hoffnung, dahinter festen Boden zu finden, aber ein ums andere Mal erwartet uns nur noch mehr Geröll und Kies, bis wir endlich eine weitere Kuppe erreichen und einen Felsgrat erblicken, der sich aus dem Geröllfeld erhebt und in Richtung Gipfel abbiegt. 

Endlich versinken unsere Füße nicht mehr bei jedem Schritt! Dafür geht es jetzt steil bergauf und wir suchen uns einen Weg von Felsblock zu Felsblock, immer den Metallstangen nach, die uns eine grobe Orientierung geben. Der Felsgrat, dem wir folgen, führt uns schließlich zum Kraterrand des Vulkans und über ein paar vereiste Platten geht es hinab in den Krater, wo wir ein kleines Eisfeld queren, bevor wir gegenüber einen steilen Weg die Kraterwand hinauf suchen, der uns bis zum höchsten Punkt des Kraters und damit auf den Gipfel des Taranakis bringt. Endlich geschafft! Und wir haben Glück, denn als wir gerade unsere Belohnungsgummibärchen (Haribo Vulkane, passend) verputzen, reißt die Wolkendecke stückweise auf und offenbart den Blick auf die umliegende Landschaft; Meer im Norden, Farmland in Ost, West und Süd und rings um den Vulkan ein fast kreisrundes Waldgebiet, das die Grenze des Nationalparks, in dessen Zentrum wir gerade stehen, sichtbar macht. Vor dem Abstieg suchen und finden wir noch einen unter Steinplatten verborgenen Geocache und machen uns dann auf den Weg zurück. Hinunter kommen wir gut voran, auch wenn unsere Beine sich schon bald melden und deutlich machen, dass das viele bergab ganz schön auf die Knie und Knöchel geht. Das endlose Geröllfeld, bei dem wir uns schon beim Aufstieg gefragt haben, wie wir darüber nachher wieder hinunter kommen sollen, erweist sich als kleineres Hindernis als gedacht und wir können es zwar schlitternd, aber meistens unter Kontrolle schließlich hinter uns lassen. 

Ein wenig verzögert sich unserer Rückweg dann schließlich doch noch, da wir beschließen, über einen alternativen Weg zurück zum Camphouse zu laufen, der laut Schild nur eine viertel Stunde länger dauert, sich aber als fast doppelt so lang herausstellt. Entsprechend erledigt erreichen wir das Camphouse, wo wir uns im Visitor Center mit einem Eis belohnen. Insgesamt haben wir für die Gipfelbesteigung acht Stunden gebraucht, womit wir sehr zufrieden sind, da wir dadurch rechtzeitig für ein ganz besonderes Ereignis wieder an unserer Hütte sind…

Lange Ausruhen ist nämlich nicht angesagt. Gestern Abend haben wir außer Dani auch noch Naomi kennengelernt, die Nationalparkrangerin, die für die Hütte zuständig ist. Sie hat uns gestern – sehr aufgeregt – eröffnet, dass heute eine Gruppe Kiwis in der Nähe des Camphouses ausgewildert werden soll. 

Nicht nur wir warten deshalb gespannt auf den Transporter, der die Kiwis bringen soll. Kurz bevor er eintrifft, bekommen alle Zuschauenden ein Sicherheitsbriefing, damit die Kiwis möglichst keinem Stress ausgesetzt sind. Der Transporter mit dem Sticker “Live Kiwis on Board” trifft schließlich ein und von der Ladefläche werden zwei Holztragekisten gehoben, um die wir mit den anderen Zuschauenden einen großen Kreis bilden. Zunächst werden die Kiwis auf traditionelle Weise der Māori begrüßt, indem ein Vertreter der regionalen Māoris eine Begrüßung in te reo Māori (der Sprache der Māori) spricht. Derart in Empfang genommen, werden die zwei Kiwis aus den Kisten gehoben und, wie Kleinkinder im Arm gehalten, einmal allen im Kreis stehenden von Nahem gezeigt. Die Tragehaltung ist dadurch begründet, dass der Brustkorb der Kiwis fragiler ist als beispielsweise bei einem Huhn, weshalb die Lage auf dem Rücken die sicherste ist. Kiwis so nahe zu sehen ist beeindruckend, da dadurch erst so richtig deutlich wird, wie groß sie sind und wie lang und kräftig ihr Schnabel und ihre Beine sind. Die Kiwis sind bei der Präsentation sehr entspannt und, kein Wunder als nachtaktive Vögel, sehr schläfrig in den Armen ihrer Träger. Nachdem die Kiwis zunächst wieder in ihren Kisten im Dunkeln sind, wird uns eine ganz besondere Ehre zuteil, wie uns Naomi, die tatsächlich vor Rührung mit den Tränen kämpft, erzählt. Wir, die zur Zeit im Camphouse übernachten, dürfen mit ihr die beiden Kiwis vor der Auswilderung benennen. Da fast alle aus dem Camphouse den Summit-Track auf den Gipfel gemacht haben, benennen wir einen in “Summit”, später ergänzen wir ihn durch den Māori-Begriff für Gipfel zum Doppelnamen “Summit Tihi”. Der zweite Kiwi bekommt den Namen “Frodo” (Der Vorschlag kam nicht von uns, wirklich!). 
 
Außer den beiden werden noch sieben weitere Kiwis heute ausgesetzt und wir dürfen das Team, das die Kiwis zu den für sie vorbereiteten Höhlen bringt, begleiten. Vor ihrer Auswilderung werden die Kiwis nochmals traditionell mit einem Lied der Māori verabschiedet, bevor sich die Karawane mit den neun Holzkisten auf den Weg zu mehreren Punkten macht, wo jeweils zwei oder drei Kiwis ausgesetzt werden sollen. Vor jeder Aussetzung bekommen wir die Kiwis nochmal, diesmal in kleinerem Kreis, gezeigt, bevor sie einige Meter von den Wanderwegen entfernt in ihre neuen Höhlen gesetzt werden (Von einem Kiwi bekommen wir sogar zwei Federn, die in der Holzkiste zurückgeblieben sind!). 
 
Schließlich sind alle neun Kiwis in ihrem neuen Zuhause und für uns geht es wieder zurück ins Camphouse, wo wir, überwältigt von den vielen Eindrücken und der körperlichen Anstrengung des Tages, früh ins Bett gehen und wie Steine schlafen.
Der nächste Tag startet entspannter und wir haben heute sogar Zeit, richtig zu frühstücken. Heute wollen wir, trotz unserer von den letzten zwei Tagen gezeichneten müden Beinen, den Berg weiter wandernd erkunden und machen uns deshalb auf zum Kokowei-Track (später finden wir raus, das unsere “kleine” Runde eigentlich eine 8-stündige Tagestour ist), der uns zunächst hoch bis an die Baumgrenze und dann auf überwachsenen Waldwegen tief in den Bergwald hinein führt. Die Vegetation ähnelt dem “Goblin-Forest”, nur die Bäume sind aufgrund der niedrigeren Höhenlage größer und ragen aus dem von Moosen und Farnen dicht bewachsenen Unterholz empor. Als auf halbem Weg die angekündigten Regenschauer einsetzen, bereuen wir ein wenig die Entscheidung, schon wieder so eine lange Tour zu laufen und beeilen uns, auch weil wir schnell ziemlich nass sind, zurück zur Hütte zu kommen. Spannend wird es nochmal, als wir an einen Fluss kommen, über den wir auf einer Drahtseil-Hängebrücke balancieren müssen.  Wir sind froh, als wir endlich durchnässt und mit brennenden Beinen am Camphouse ankommen.
 
Nach erholsamer Nacht geht es für uns an den Rückweg nach New Plymouth. Wir müssen dafür zurück nach Egmont Village laufen, die 16 Kilometer, von denen wir auf dem Hinweg glücklicherweise nur einen sehr kleinen Teil laufend zurücklegen mussten. Doch diesmal wandern wir erstmal ein ordentliches Stück ohne aufgegabelt zu werden, dafür sehen wir gleich mehrere Kererūs, massive grau-weiße Tauben, die ganz oben in den Bäumen sitzen. Wir verlassen den Wald und damit den Nationalpark am Fuß des Taranaki und laufen zunächst an Farmland entlang, bis wir noch einmal großes Glück haben. Tatsächlich hält eine Dreiergruppe von Vermessungsingenieur*innen, die wir schon auf dem Weg mehrmals beim fleißig messen gesehen haben, und fragen, ob sie uns mitnehmen sollen, sogar, und das erspart uns richtig viel Warterei, bis nach New Plymouth, wohin sie von ihrem Arbeitseinsatz zurück ins Büro fahren. Wir nehmen dieses Angebot sehr freudig an und lassen dafür gerne unseren Intercity-Bus sausen, mit dem wir erst viel später zurück in New Plymouth gewesen wären.
 
Da das Vermessungsbüro fast an der Uferpromenade liegt, gehen wir noch eine Runde den Strand – und dort vor allem die Gezeitentümpel – erkunden und kommen dann nach vier Tagen wieder am Campingplatz an.