#03 An Unexpected Adventure

Unsere Zeit in “the far north” ist zuende und es geht über kurvige Straßen zunächst zurück nach Auckland, von wo wir geplant haben, weiter nach Hamilton zu fahren, um von dort mit den regionalen Bussen nach Cambridge zu gondeln. Aber Roadworks auf der Strecke haben, zu unserem Glück, dazu geführt, dass der Intercity-Bus selbst über Cambridge fährt, was wir – Glück gehabt – von anderen Fahrgästen mitbekommen. Der Busfahrer ist so nett und nimmt uns einfach so bis in die kleine Stadt mit.

 
Bleibt noch ein Problem:
Unser Campingplatz liegt knappe zehn Kilometer außerhalb der Stadt an einem Stausee. Uns war schon beim Buchen bewusst, dass das ein Problem werden könnte, aber da wir zumindest für den Weg zurück vom See nach Cambridge einen Intercity-Bus gefunden hatten, kam es uns lösbar vor (zu unser tollen Busverbindung später noch mehr).
 
Und wir haben tatsächlich schon wieder Glück: Heute findet am Lake Karapiro, dort wo wir hin müssen, ein Fest statt, das “Balloons Visit Waipā” und wie der Zufall es will gibt es Shuttlebusse. Theoretisch bräuchte man zwar ein Ticket für das Fest, um sie zu nutzen, aber der Fahrer nimmt uns so mit. Auf dem Campingplatz ist einiges los, denn neben dem Balloon-Fest findet ein dreitägiges Countrymusik-Festival statt, dementsprechend viele Gitarren und Cowboyhüte sind zu sehen.
 
Auch für uns steht am nächsten Tag ein großes Event an, wir haben nämlich vor, den Halfling Marathon zu laufen, einen Trailrun-Halbmarathon, der durch das Hobbiton Movie Set und das umliegende Farmland führt.
Zunächst stehen wir aber vor einem großen Problem, unser Plan sieht eigentlich vor, einen Intercity Bus von Karapiro, ein kleiner Ort am Stausee, nach Cambridge zu nehmen, von wo aus uns ein Shuttle zum Filmset bringen soll. Laut Google Maps sind es nach Karapiro vierzig Minuten zu Fuß, deshalb starten wir früh, aber schon nach wenigen Metern sollen wir den Stausee über den Staudamm überqueren. Aber, ihr ahnt bestimmt bereits, was Google Maps und wir nicht wussten, der Staudamm ist seit über einem halben Jahr gesperrt!
Tja..
Und die nächste Brücke ist fast zehn Kilometer entfernt.
 
Also bleibt uns nichts anderes übrig, als uns vor dem Halbmarathon schon mal zehn Kilometer einzulaufen. Noch dazu beginnt es zu regnen…
 
Aber der Regen stellt sich letztlich als gar nicht so unglücklich für uns heraus, denn er bewegt tatsächlich einen Autofahrer dazu, unsere in der Hoffnung auf ein paar weniger Schritte ausgestreckten Daumen nicht zu ignorieren und anzuhalten. Der Australier, der uns vor dem Regen rettet, ist sehr nett und setzt uns direkt im Stadtzentrum von Cambridge ab, wo wir uns, jetzt da wir Zeit haben, erst mal auf dem Wochenmarkt mit frischen Brötchen (eine große Seltenheit in Neuseeland) eindecken.
Unsere Reise nach Mittelerde startet mit einem gut gelaunten, lustigen Busfahrer, der uns und andere Läufer*innen passend mit Herr der Ringe Soundtrack nach Hobbiton bringt. Und sich dabei verfährt und statt der schnellen Route zu unserem Glück die “scenic route” wählt, was uns erste Blicke auf die sanften Hügel und Felder des Auenlandes ermöglicht. Als wir ankommen, erreichen nicht nur wir, sondern auch der erste von vielen Regenschauern die Farm der Alexanders, Startpunkt des Halfling Marathons. Wir sind mit einem frühen Bus gekommen und nach und nach trudeln immer mehr Läufer und Läuferinnen ein, einige davon sogar verkleidet, wir sehen Hobbits, Elben und immer wieder Gandalf. Am lautesten und am besten verkleidet (von Weta) ist ein Zwerg, der die Moderation übernimmt und uns schließlich um 14 Uhr an die Startlinie schickt. Es regnet in Strömen, wir sind schon vor dem Startschuss nass bis auf die Knochen und müssen schon auf dem Weg zur Startlinie ein Matschloch überwinden. Trotz des Regens ist die Stimmung gut, es steht schon jetzt fest, dass das kein kompetetiver Lauf wird, sondern ein kleines Abenteuer. 
 
Dann geht es endlich los! Vorne voran stürmen der Zwerg, ein Nazgul und – riesengroß – ein Balrog (so steht es auch auf ihren Startnummer). Aber die drei haben wir schnell überholt und es geht auf das Farmgelände; endlose grasgrüne Hügel, kleine Seen, riesige, in Grüppchen zusammenstehende Bäume und, überall verstreut, Herden von Schafen und Kühen. Von Anfang an führt uns die Strecke nicht mehr über befestigte Wege, sondern über Wiesen und kleine, überwachsene Pfade, durch unzählige Gatter und Tore und vor allem; immer wieder bergab und bergauf. Und wieder bergab. Und wieder bergauf. Wir entwickeln schnell die Strategie, bergauf zu gehen und gerade und bergab zu rennen, so wie es die meisten um uns herum auch tun. Trotz des nassen, rutschigen und unebenen Untergrunds kommen wir gut vorwärts und verknicken uns, auf wundersame Weise, keinen Knöchel. 
Nach sieben Kilometern führt unser Weg dann das erste Mal durch Hobbiton, wo uns auf einmal, als wir um eine Hecke biegen, die ersten Hobbithöhlen erwarten. Auch wenn wir, wie Bilbo bei seinem Aufbruch, eilig unterwegs sind, fallen uns die liebevoll gestalteten Details ins Auge, die mit zum authentischen, lebendigen Eindruck beitragen, den Hobbiton vermittelt. Es gibt kleine Verkaufstischchen mit Käse und Honig, eine unterbrochene Partie Schach und überall – heute im Regen – baumelnde Wäsche zwischen den rauchenden Schornsteinen. Wir schlängeln uns entlang der runden Türen den Hügel hinauf und lassen Hobbiton fürs erste hinter uns, dafür nähern wir uns schnellen Schrittes dem steilsten und höchsten Punkt der Strecke. 
 
Die Wahl, ob wir gehen oder rennen, wird uns schnell abgenommen, denn wir laufen bald nicht mehr auf Gras, sondern versuchen so gut wie möglich den immer größer werdenden Schlammlöchern auszuweichen. Schließlich müssen wir kapitulieren und uns mit allen anderen in den Schlamm stürzen, was den Anstieg zu einer rutschigen und balancefordernden Angelegenheit macht. Der Weg nach unten ist dann eine richtige Rutschpartie. Nicht einmal Gandalf kann das Gleichgewicht behalten und schlittert unkontrolliert an uns vorbei. 
 
Am Fuß des Berges endet die Rutschbahn zum Glück und es geht wieder über grasbewachsene Hügel und entlang malerischer Tümpel, wo die Sonne zwischen den heftigen Regenschauern zu unserem Glück auch immer wieder den Weg bis zu uns findet. Eine kleine Überraschung bietet die Strecke, als sie nach einer Hügelkuppe plötzlich in ein Maisfeld hinein und durch viele scharfe Kurven und schmale Öffnungen wieder hinaus führt.
Nach 18 km führt uns die Strecke schließlich ein zweites mal nach Hobbiton, das wir diesmal über einen ganz besonderen Weg betreten. Wir schlängeln uns an ein paar Bäumen vorbei, bis wir nach ein paar zierlichen Steinstufen auf einmal im Vorgarten von Beutelsend stehen, direkt vor Bilbos Haustür. Durch das Gartentor mit dem Hinweis “no admittance except on party business” geht es dann über kurvige Wege bis zur Mühle und über die steinerne Brücke ins Green Dragon Inn, wo uns neben einem kühlen Ale auch elbische Musikanten und ein ganzer Haufen Hobbits in Gesellschaft von Gandalf erwarten.
 
Danach haben wir es fast geschafft, nur drei Nazgul auf ihren Pferden stehen noch zwischen uns und dem Ziel. So schnell uns unsere schon ganz schön müde Beine noch tragen laufen wir ihnen davon und erreichen endlich das Ziel! 
 
Inzwischen hat sich die Sonne durchgesetzt und wärmt uns auf, als wir unseren wohlverdienten Halfling-Marathon-Steinkrug gefüllt mit Ale in Empfang nehmen.
 
Zurück im Zelt gibt eine riesenportion Nudeln, bevor wir müde und zufrieden einschlafen.